Ein Expertenblick auf ein wachsendes Ökosystem
Die sogenannte Longevity-Branche, also der Markt rund um gesundes Altern, Lebensverlängerung und das aktive Management biologischer Alterungsprozesse, gewinnt international an Dynamik – und Deutschland entwickelt sich zunehmend zu einem bedeutenden Akteur. Als Experte auf diesem Gebiet beobachte ich seit Jahren, wie sich Innovation, Wissenschaft, Technologie und Unternehmertum in diesem Sektor verbinden, um nicht nur die Lebensspanne, sondern vor allem die Gesundspanne zu verlängern.
Was umfasst die Longevity-Branche?
Unter dem Begriff „Longevity“ verstehen wir heute nicht bloß die Verlängerung der Lebenszeit um jeden Preis, sondern die Förderung eines langen, gesunden, selbstbestimmten Lebens. Der Fokus liegt auf Prävention, Regeneration, biologischer Verjüngung und dem Management altersbedingter Prozesse – sowohl auf zellulärer als auch systemischer Ebene. Die Branche ist dabei extrem interdisziplinär: Sie verbindet Biotechnologie, Nutraceuticals, Gesundheitsdatenanalyse, künstliche Intelligenz, Wearables, personalisierte Medizin, Genomik und Verhaltensmedizin.
Deutschland als wachsender Markt
Deutschland besitzt einige entscheidende Vorteile für das Wachstum der Longevity-Branche: eine alternde Bevölkerung mit wachsender Gesundheitsaffinität, eine starke biowissenschaftliche Forschungslandschaft, Innovationskraft im Mittelstand sowie steigende Investitionen in Prävention und digitale Gesundheitsanwendungen.
Dennoch hinkt Deutschland im internationalen Vergleich – etwa mit den USA, der Schweiz oder Singapur – in puncto Kapital, regulatorischer Agilität und Startup-Förderung noch hinterher. Doch es bewegt sich etwas. Immer mehr Startups, etablierte Unternehmen und Forschungsinstitute erkennen das Potenzial des Longevity-Marktes.
Teilhabende Unternehmen: Ein Blick auf zentrale Player
1. Forever Healthy Foundation (Berlin)
Gegründet von dem Unternehmer Michael Greve, spielt diese Stiftung eine Schlüsselrolle für die deutsche Longevity-Community. Neben der Finanzierung von Forschungsprojekten betreibt die Organisation das Rejuvenation Startup Summit, eines der größten Branchentreffen Europas. Die Foundation fördert Wissenstransfer, baut Netzwerke auf und positioniert Berlin als europäischen Hotspot für Longevity-Innovationen.
2. Cellbricks (Berlin)
Ein deutsches Biotech-Unternehmen, das sich auf 3D-Bioprinting spezialisiert hat – eine Schlüsseltechnologie für die regenerative Medizin. Längerfristig könnte diese Technologie zur Züchtung von Gewebe oder sogar funktionalen Organen beitragen, was eine direkte Relevanz für die Verlängerung der Gesundheitsspanne hat.
3. Tomorrowlabs (Wien/Deutschland)
Obwohl ursprünglich aus Wien, expandiert das Unternehmen stark nach Deutschland. Es entwickelt auf Basis der sogenannten HSF-Technologie (HIF-Stabilizing Factor) medizinische Kosmetika zur Zellregeneration und Hautverjüngung – ein Einstiegspunkt für den breiten Markt, aber mit klinisch validiertem Hintergrund.
4. Elixr / Braineffect (Berlin)
Diese Unternehmen bedienen das wachstumsstarke Segment der Nootropika, also Nahrungsergänzungsmittel zur Steigerung von mentaler Leistungsfähigkeit und Stressresistenz. Sie adressieren ein jüngeres, gesundheitsbewusstes Publikum, das Langlebigkeit frühzeitig aktiv gestalten möchte.
5. Siemens Healthineers & Bayer AG
Auch etablierte Unternehmen entdecken den Longevity-Sektor für sich – etwa durch die Entwicklung von präziser Diagnostik, Frühwarnsystemen oder altersadaptierter Medikation. Siemens Healthineers etwa arbeitet an bildgebenden Verfahren und KI-basierten Früherkennungsmethoden, die entscheidend für die Prävention altersbedingter Erkrankungen sein können.
6. Körber Start-Hub (Hamburg)
Die Körber-Stiftung unterstützt mit dem Programm „Alter neu denken“ Startups und Initiativen, die sich innovativ mit dem Thema Altern auseinandersetzen. Hier geht es oft weniger um Biotech und mehr um soziale Innovationen, digitale Betreuungslösungen oder Robotik für die Altersassistenz – auch das ist ein essenzieller Teil von Longevity.
Herausforderungen und Potenziale
Obwohl die medizinischen und technologischen Fortschritte vielversprechend sind, kämpft die deutsche Longevity-Branche mit mehreren Herausforderungen:
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Regulatorik: Die deutsche und europäische Gesetzgebung ist oft zu träge, um mit den schnellen Entwicklungen in Biotech und Präzisionsmedizin mitzuhalten.
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Kapitalmangel: Frühphasen-Finanzierungen für Longevity-Startups sind vergleichsweise rar, was Gründer dazu zwingt, oft in die USA oder die Schweiz abzuwandern.
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Gesellschaftliche Akzeptanz: Das Thema „Lebensverlängerung“ ist in Deutschland noch stark mit ethischen Fragen und Vorbehalten behaftet – es fehlt oft an Aufklärung über die tatsächlichen Ziele der Branche, nämlich die Verbesserung der Lebensqualität, nicht die Unsterblichkeit.
Die Zukunft: Longevity wird Mainstream
Die kommenden Jahre werden entscheidend. Mit dem Fortschritt bei Senolytika, epigenetischen Modifikationen, molekularer Diagnostik und AI-gestütztem Gesundheitsmanagement wird Longevity zunehmend ein fester Bestandteil moderner Gesundheitsstrategien – sowohl für den Endverbraucher als auch für Krankenkassen und Gesundheitssysteme.
In Deutschland erwarte ich eine stärkere Integration von Longevity-Ansätzen in die reguläre Versorgung, etwa durch personalisierte Präventionsprogramme, digitale Coachings, biomarkerbasierte Frühwarnsysteme oder altersadaptive Arzneimittelstrategien.
Fazit
Die Longevity-Branche in Deutschland steht an einem spannenden Punkt: Zwischen wissenschaftlichem Fortschritt, wachsendem Marktpotenzial und gesellschaftlichen Umbrüchen entsteht ein neues Ökosystem, das nicht nur unsere Lebensdauer, sondern unsere Vorstellung vom Altern grundlegend verändern wird. Unternehmen, die jetzt den Einstieg wagen – ob als Startup, Mittelständler oder Konzern – können maßgeblich mitgestalten, wie wir in Zukunft alt werden: gesünder, vitaler und selbstbestimmter.