Die Epigenetik – genauer als ein Reisepass.
Die Epigenetik ist ein Bereich der Biologie, der in den letzten Jahrzehnten enorm an Bedeutung gewonnen hat, insbesondere in der Forschung rund um das Altern und die Langlebigkeit. Während unsere DNA, das Erbgut, als ein festgelegter Bauplan angesehen werden kann, zeigt die Epigenetik, dass dieser Bauplan flexibel ist und durch Umwelteinflüsse, Lebensstil und sogar Gedanken beeinflusst werden kann. Es geht darum, wie Gene aus- oder eingeschaltet werden, was tiefgreifende Auswirkungen auf unsere Gesundheit und unser Altern haben kann.
Eines der bekanntesten Beispiele für epigenetische Veränderungen ist die DNA-Methylierung. Dabei werden Methylgruppen an die DNA angehängt, wodurch bestimmte Gene stillgelegt werden können. Diese epigenetischen Marker ändern sich im Laufe des Lebens und können durch Faktoren wie Ernährung, Stress oder sogar die Umwelt beeinflusst werden. Ein interessantes Beispiel aus der Forschung zeigt, dass Zwillinge mit identischer DNA im Laufe ihres Lebens unterschiedliche epigenetische Muster entwickeln, die zu Unterschieden in ihrer Gesundheit und Lebensdauer führen können.
Ein zentraler Forscher auf diesem Gebiet ist Dr. Steve Horvath von der UCLA, der die sogenannte "Horvath'sche Uhr" entwickelt hat. Diese epigenetische Uhr kann das biologische Alter eines Menschen messen, basierend auf den Methylierungsmustern in der DNA. Interessanterweise hat diese Uhr gezeigt, dass das biologische Alter von Menschen erheblich von ihrem chronologischen Alter abweichen kann – einige Menschen sind biologisch gesehen jünger, andere älter, als ihr Geburtsdatum vermuten lässt. Diese Erkenntnisse bieten spannende Möglichkeiten, das Altern besser zu verstehen und vielleicht sogar zu verlangsamen.
Ein praktisches Beispiel für die Anwendung der Epigenetik ist die Wirkung von Ernährung und Bewegung auf die Genaktivität. Studien haben gezeigt, dass eine mediterrane Diät, reich an Olivenöl, Nüssen und Gemüse, positive epigenetische Veränderungen hervorrufen kann, die entzündungshemmende Gene aktivieren und so das Risiko für altersbedingte Krankheiten senken. Ebenso kann regelmäßige Bewegung epigenetische Veränderungen bewirken, die Gene für Fettstoffwechsel und Insulinsensitivität aktivieren, was wiederum die Gesundheit und Langlebigkeit fördert.
Ein weiteres faszinierendes Beispiel kommt aus der Studie zu den niederländischen "Hungerwinter"-Kindern. Während der Hungersnot im Winter 1944-1945 hatten die Frauen in den betroffenen Regionen aufgrund von Mangelernährung stark veränderte epigenetische Muster, die sie an ihre Kinder weitergaben. Diese Kinder hatten später im Leben ein erhöhtes Risiko für chronische Krankheiten wie Diabetes und Herzkrankheiten, obwohl ihre DNA-Sequenz unverändert geblieben war. Dies zeigt eindrucksvoll, wie stark die Umweltbedingungen die epigenetische Programmierung und damit die Gesundheit beeinflussen können.
Die Erforschung der Epigenetik hat auch zur Entwicklung von therapeutischen Ansätzen geführt, die darauf abzielen, epigenetische Marker gezielt zu verändern. Diese könnten in Zukunft helfen, altersbedingte Krankheiten zu verhindern oder zu behandeln, indem sie beispielsweise "schlechte" Gene stilllegen oder "gute" Gene aktivieren.
Insgesamt zeigt die Epigenetik, dass wir durch unser Verhalten und unsere Umwelt einen erheblichen Einfluss darauf haben, wie unsere Gene arbeiten – und damit auch auf unser Altern und unsere Gesundheit. Es ist ein dynamisches Forschungsfeld, das weiterhin unser Verständnis vom Altern revolutionieren könnte.
Quellen:
- Horvath, S. (2013). DNA methylation age of human tissues and cell types. Genome Biology, 14(10), R115.
- Feinberg, A. P. (2007). Phenotypic plasticity and the epigenetics of human disease. Nature, 447(7143), 433-440.
- Jirtle, R. L., & Skinner, M. K. (2007). Environmental epigenomics and disease susceptibility. Nature Reviews Genetics, 8(4), 253-262.
- Bacalini, M. G., & Garagnani, P. (2015). The epigenetics of healthy longevity. Journal of Clinical Epigenetics, 7(1), 55-70.
- Waterland, R. A., & Michels, K. B. (2007). Epigenetic epidemiology of the developmental origins hypothesis. Annual Review of Nutrition, 27, 363-388.